Nachdem Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff eine Abstimmung über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags im Dezember verhindert hatte, konnte der Rundfunkbeitrag nicht wie erwartet zum ersten Januar 2021 um 86 Cent erhöht werden. Alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind deshalb vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen. Ein erster Eilantrag wurde abgelehnt. Wann das Gericht endgültig urteilt, ist noch nicht bekannt. Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunks, der vom Deutschlandradio produziert wird, kann sich vorstellen, dass es erst 2022 zu einer Entscheidung komme. Sie sei aber vorsichtig optimistisch, dass im Sinne der Rundfunkfreiheit entschieden werde.
Wentzien sprach in ihrem Impuls über die Auswirkungen der geplatzten Erhöhung: So werde das Deutschlandradio die Tariflöhne seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst einmal nicht erhöhen können. „Wenn es bei den 17,50 Euro bleibt, werden wir langfristig nicht damit auskommen“, sagte Wentzien. Dann seien Konsequenzen für Sendestrecken und freie Mitarbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) zu erwarten. Für manche Landesrundfunkanstalten, wie Radio Bremen und Radio Saarland gehe es darüber hinaus um die blanke Existenz. Einer der Gastgeber der Konferenz, Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus am IJ, fragte Wentzien, wie sie das Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen bei privatwirtschaftlich organisierten Medienhäusern in der Debatte sehe.
Wentzien sagte, sie habe zunächst einmal Hochachtung vor der Arbeit der privaten Medien, gerade im Hinblick darauf, Medienvielfalt zu erhalten. Zudem nehme sie eine Art Wettbewerbskritik wahr, die vor allem in der wirtschaftlich angespannten Situation vieler Verlage begründet sei, fühle sich dadurch aber nicht angegriffen. „Das, was der ÖRR bekommt, nehme ich als Privileg wahr“, sagte Wentzien.
„Wir können auch Insta und Spotify“
Auch wenn das Urteil aus Karlsruhe nicht im Sinne des ÖRR ausfalle, werde sich am Auftrag, die Menschen in Deutschland mit dem Programm über alle möglichen Kanäle, auch über Instagram und Spotify zu erreichen, nichts ändern, so Wentzien. Der Deutschlandfunk wolle dabei in Zukunft stärker auf Audio-Formate wie Podcasts setzen und weniger Texte für das Internet produzieren. Es bleibe aber dabei: „Deutschlandradio gehört denen, die dafür zahlen und auf uns zählen“, sagte Wentzien.
Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht am Institut für Journalistik, zitierte aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember, wonach möglicherweise eine Verletzung der Rundfunkfreiheit vorliegen könnte. Dies würde bedeuten, dass die Gebühren doch erhöht werden könnten, was auch noch rückwirkend möglich sein könnte. Auf die Frage Gostomzyks, wie das Deutschlandradio mit der Unsicherheit umgehe, sagte Wentzien: „Wir versuchen mit der Situation und den schmerzhaften Einschnitten umzugehen.“
Danach folgte der Impuls von Tobias Gostomzyk: Er schilderte als erstes das Verfahren, mit dem die Entscheidung zur Beitragserhöhung ermittelt wird. Zunächst entscheidet die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) über mögliche Beitragserhöhungen. Diese Entscheidung ist eng an Urteile des Bundesverfassungsgerichts geknüpft. Im Februar 2020 empfahl die KEF, den Rundfunkbeitrag erstmals seit 12 Jahren wieder zu erhöhen, um den ungedeckten Finanzaufwand von drei Milliarden Euro des ÖRR zu decken, und zwar um 86 Cent für die Periode von 2021 bis 2024. Die KEF mahnte aber gleichzeitig die hohen Personalkosten an. Einem Gerichtsurteil zufolge kann von den Empfehlungen der KEF aber auch abgewichen werden. Obwohl der Beitrag lange nicht erhöht wurde, konnte der ÖRR trotzdem Überschüsse ausweisen, so Gostomzyk. Das liege am Wechsel von der Rundfunkgebühr zum Rundfunkbeitrag, den inzwischen jeder Haushalt in Deutschland zahlen muss. Im Anschluss daran müssen alle Ministerpräsidentinnen und -präsidenten zustimmen und danach die Landesparlamente.
„Der Rundfunkbeitrag ist sicher“
Gostomzyk sei vorsichtig optimistisch, was das Urteil des Bundesverfassungsgerichts angeht. Das Gericht habe immer wieder betont, dass die Finanzierung des ÖRR funktionsgerecht und entwicklungsoffen sein müsse. Die Finanzierung müsse dem Auftrag des ÖRR genügen, dieser Auftrag könne sich in Zeiten veränderter Öffentlichkeiten aber auch wandeln, z.B. als Gegengewicht zu Falschinformationen auf digitalen Plattformen. Der Auftrag des ÖRR sei vor allem, eine Grundversorgung mit Inhalten anzubieten, die einen gesellschaftlichen Diskurs in unterschiedlichen Bereichen ermöglicht. Den Rundfunkbeitrag sehe er nicht in Frage gestellt, da er höchstrichterlich als sowohl verfassungs- als auch europarechtskonform festgestellt worden sei. Insofern lasse sich sagen: „Der Runfunkbeitrag ist sicher.“
Auf die Frage aus dem Plenum, ob der ÖRR den Platz von lokalen privaten Medien übernehmen könnte, gerade im Hinblick auf seinen Auftrag, sagte Gostomzyk: Nach dem jetzigen Stand sei das aus juristischer Sicht nicht denkbar, da es sich um einen Rundfunkbeitrag und nicht um einen Pressebeitrag handele, der dem Auftrag enge Grenzen setzt.
Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus am IJ, warf die Frage auf, ob die Veränderung des Nutzerverhaltens weg vom linearen Fernsehen hin zu Streaming und Co. es dem ÖRR erschwere, seinen Auftrag zu erreichen: Sei dieses System in der Linearität dann noch notwendig und tragbar? Rechtlich gesehen sei zunächst relevant, dass die Informationen überhaupt für alle Bevölkerungsgruppen zur Verfügung gestellt werden. Gostomzyk machte aber auch deutlich, dass wenn die ÖRR zunehmend weniger geschaut würden, sich die Frage seiner Leistungsfähigkeit stellen würde.
Matthias von Fintel, Mitarbeiter im Bereich Medien und Publizistik bei verdi, fragte Gostomzyk nach der rechtlichen Grundlage für Rechercheverbunde des ÖRR mit privaten Medien. Gostomzyk sagte, dass es europaweit einen Trend zu solchen Kooperationen gebe, aus Sicht des ÖRR vor allem, um sich stärker zu legitimieren. Allerdings sei die Medienordnung in Deutschland darauf noch gar nicht hinreichend eingestellt: Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten seien – historisch in der dualen Entwicklung des Rundfunks begründet – eigentlich nicht vorgesehen. „Das wurde und wird dann eher einfach gemacht “, sagte Gostomzyk. Warum sei zum Beispiel für den Rechercheverbund mit dem NDR und WDR die Süddeutsche Zeitung ausgewählt worden? „Eigentlich müsste man das ausschreiben, um dem Grundsatz der Gleichbehandlung Sorge zu tragen“, so Gostomzyk. Inzwischen sei ein gewisser Wandel erkennbar. So gebe es im WDR-Gesetz einen Passus, der Kriterien für solche Verbünde nenne.
Die nächste Konferenz zur Zukunft des Journalismus findet am 24. Februar statt – dann wird es um das Thema Regulierung gehen.
Auch M Online von ver.di hat über unsere Konferenz berichtet: Öffentlich-Rechtliche in der Bredouille