von Fabian Hruschka
Zum neunten Mal fand Anfang September die Datenjournalismus-Konferenz SciCAR in Dortmund statt. Dass gleichzeitig auch das zehnjährige Bestehen der Konferenz gefeiert werden konnte, hob Mitorganisatorin Prof. Christina Elmer bei der Begrüßung besonders hervor. Denn vor zehn Jahren fand am gleichen Austragungsort wie in diesem Jahr, dem Erich-Brost-Haus auf dem Campus der TU Dortmund, die erste SciCAR-Tagung statt. Einmal musste die Konferenz, die von manchen auch liebevoll als „Klassentreffen der Datenjournalismus-Branche“ bezeichnet wird, pandemiebedingt ausfallen. Das führte nun zur neunten Auflage im zehnten Jahr des Bestehens der SciCAR, die vom Institut für Journalistik, dem Netzwerk Recherche, der Wissenschaftspressekonferenz sowie dem Science Media Center Germany veranstaltet wird. Eine Inkongruenz, die nicht weiter schlimm sei, fand Prof. Christina Elmer: „So können wir im nächsten Jahr einfach nochmal feiern.“
Und so wie sich die Teilnehmenden nach der Konferenz in den sozialen Medien äußerten, dürfte die nächste Auflage der SciCAR auch wieder gut besucht sein. So schreibt Prof. Dr. Jacob Vicari von der Hochschule Hannover auf LinkedIn: „Ihr habt wieder einmal bewiesen, dass Datenjournalismus und Wissenschaft perfekt harmonieren können. Die Organisation war erstklassig und die Atmosphäre genau richtig: nerdig, offen und ehrlich.“ Auch das Fazit der NDR-Datenjournalistin Isabel Lerch klingt eher nach Zukunft als Vergangenheit: „Was mich besonders gefreut hat: Es waren sehr viele junge Menschen, Studierende und angehende Datenjournalist:innen mit am Start.“
Dabei las sich das Programm am ersten Tag der SciCAR erstmal nicht so optimistisch: „Datenrettung in der Demokratie“ hieß die Keynote von David Schiller, Professor für Datenmanagement an der Fachhochschule Graubünden. „Daten müssen eigentlich nur gerettet werden, wenn sie jemand absichtlich versucht zu löschen“, sagte Prof. David Schiller, „und leider tut genau das die aktuelle Trump-Administration in den USA im großen Stil.“ Schlechte Nachrichten für die knapp 120 Anwesenden im Saal des Erich-Brost-Hauses, deren aller Arbeitsgrundlage „irgendwas mit Daten“ ist. Und doch wäre die SciCAR nicht die SciCAR, wenn nicht anschließend sofort präsentiert worden wäre, wie weit man es mit viel Mut, Pragmatismus und Coding-Skills bringen kann. So berichtete Prof. David Schiller vom Data Rescue Project, das just im Februar 2025 von Freiwilligen ins Leben gerufen wurde und seitdem versucht, viele Terabyte US-Regierungsdaten vor dem Verschwinden zu bewahren. Und das ist enorm wichtig, denn „Daten beschreiben Zustände unserer Gesellschaft, und wenn jetzt gewisse Daten verschwinden, wird es viel schwieriger, diese Zustände in Zukunft noch zu erkennen“, erklärte er.
Müssen wir uns auch in Europa auf dieses Szenario vorbereiten? Unter anderem mit dieser Frage beschäftigte sich die anschließende Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Katja Ickstadt (TU Dortmund/DAGStat), Stefan Wehrmeyer (FragDenStaat), Simon Königsdorff (Stuttgarter Zeitung/Nachrichten) und Prof. David Schiller. Das Panel war sich einig: In Deutschland wäre es zuallererst wichtig, noch deutlich mehr Daten öffentlicher Institutionen für Forschung und Journalismus zugänglich zu machen. An vielen Stellen fehle noch das nötige Bewusstsein dafür, welchen Mehrwert offene Datenquellen für die Demokratie haben können. Dieses Bewusstsein zu schaffen, sei entscheidend – auch präventiv, sollten politische Akteure in Zukunft auch in Deutschland Daten verschwinden lassen wollen.
Die Keynote am zweiten Tag hielt die Journalistin Ida Reihani von der Hertie School in Berlin. In ihrem Vortrag „Data Stories of Migration: What's left behind and what gets recorded“ legte sie den Fokus auf die Herausforderung, auch bei einer lückenhaften Quellenlage angemessen über komplexe Themen zu berichten. So beleuchtete sie die Frage, welche Geschichten sich mit Daten über Migration erzählen lassen und welche nicht – entweder weil die Daten fehlen oder explizit von Behörden nicht herausgegeben werden. Die Keynote zeigte eindrucksvoll, wie datengetriebene Narrative die öffentliche Meinung und politische Entscheidungen beeinflussen. Und sie stellte drei Phänomene vor, die unsere Wahrnehmung des Themas Migration zusätzlich verzerren: Invisibility, Hypervisibility und Opacity by Design. Viele Menschen auf Migrationsrouten werden nicht erfasst und dadurch in der öffentlichen Debatte unsichtbar (invisible), andere leiden unter einer peniblen Datenerfassung durch Behörden (hypervisible). Und werden Algorithmen zur Entscheidungsfindung verwendet, ist häufig auch für Betroffene nicht nachvollziehbar (opacity), wie ihre Daten verwendet werden und Ergebnisse zustande kommen.
Abseits der Keynotes wurden – ganz typisch SciCAR – wieder viele Case Studies und Erfahrungswerte in Workshops geteilt. So konnten sich die Teilnehmenden umfassend über das Thema (fehlende) Daten zur Energiewende informieren und an Workshops zu Methoden wie Webscraping, der Recherche in Datenleaks und dem Umgang mit Satellitenbildern teilnehmen. Selbstverständlich war es außerdem wieder möglich, die weiter fortgeschrittenen Fähigkeiten verschiedenster KI-Tools aus der ersten Reihe mitzuerleben – sei es in den Sessions zu KI-basierten Textanalysen, der Vorstellung eines Projekts zur automatisierten Bewertung der Qualität von Medizinberichterstattung oder dem Workshop zu „Vibe Coding“, in dem die Teilnehmenden eine eigene Webseite ganz ohne HTML-Vorerfahrung erstellen konnten.
Aber auch beim „Hype“-Thema Künstliche Intelligenz blieb sich die SciCAR 2025 treu und zeigte nicht nur, was mit KI alles Tolles möglich ist, sondern wies im selben Atemzug auch auf die Grenzen der neuen Technologie hin. So stellte das Netzwerk Recherche auf der Konferenz ein Positionspapier mit Empfehlungen für den verantwortungsvollen Umgang mit KI in der Recherche vor. Flankierend dazu legte der Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus am Instiutut für Journalistik eine Handreichung vor zur Berichterstattung über Künstliche Intelligenz – die jüngste Veröffentlichung im Projekt „Mediendoktor KI“.
Neben den fachlichen Inputs bot die SciCAR in diesem Jahr selbstverständlich auch wieder die Möglichkeit des direkten, informellen Austauschs. Und so wurde bei – pünktlich zur Mittagspause aufkommenden – strahlendem Sonnenschein im Innenhof des Erich-Brost-Hauses gegessen, genetzwerkt und gelacht. Und zum Abschluss des Konferenztages traten Teams aus Teilnehmenden, Gästen und Referent:innen wieder beim KI-Pubquiz unter Federführung von Jan Eggers gegeneinander an. Oder wie es Angeline Hofacker vom Informationsdienst Wissenschaft ausdrückte: „Hat Spaß gemacht und wirkt nach!“
Fabian Hruschka studiert Wissenschaftsjournalismus mit dem Schwerpunkt Datenjournalismus am Institut für Journalistik